Am 27. Januar gedachten Arnstädter Bürger der NS-Opfer, darunter auch die AfD
ARNSTADT. Am 27. Januar hatte Arnstadts Bürgermeister Alexander Dill traditionsgemäß Bürger unserer Heimatstadt zum Gedenken der Opfer des NS-Regimes an den Rufer auf dem Arnstädter Alten Friedhof eingeladen. Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus wurde per Proklamation des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog am 27. Januar 1996 in Deutschland als ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag eingeführt. Der 27. Januar 1945 ist jener Tag, an dem die Rote Armee Auschwitz-Birkenau und die beiden anderen Konzentrationslager Auschwitz einnahm. Zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust wurde ebenfalls der 27. Januar von den Vereinten Nationen im Jahr 2005 erklärt.
In seiner Gedenkrede würdigte Bürgermeister Dill in besonderer Weise die Arnstädter Opfer des NS-Regimes, die einst als Nachbarn und Freunde in der gleichen Weise als Mensch unter Menschen lebten und sich wie das Ehepaar Hirschmann für das Gemeinwohl Arnstadts einsetzten. Er erinnerte an die Reichspogromnacht, in der in Folge viele Arnstädter Juden inhaftiert worden waren, gepeinigt und geschlagen und in „Schutzhaft“ genommen wurden. Er erinnerte auch an die Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen, die in Arnstadt und Umgebung Frondienste leisten mußten, teils bis zur Erschöpfung und Tod. Daran erinnert heute auch die Ausstellung des Jonastalvereines im historischen Lokschuppen Arnstadts als auch die Stelen des Todesmarsches. Die dunklen Punkte aus einer dunklen Zeit müssen immer wieder benannt werden und dürfen nicht dem Vergessen anheimfallen, so der Bürgermeister. Musikalisch umrahmt wurde die Gedenkveranstaltung, wie in den Jahren zuvor auch, durch die Dörrberger Musikanten, Schüler der Bosch-Schule rezitierten einige Texte, die sich auf diese dunkle Zeit bezogen.
Doch in all der Dunkelheit gab es auch Licht. Selbst in Arnstadt. Mutige Arnstädter Bürger wehrten sich gegen die Willkür der NS-Verantwortlichen. Ganz besonders erwähnt werden muß in dieser Hinsicht das Marienstift Arnstadt, das von Kirchenrat Friedrich Behr geleitet wurde. In den Erinnerungen von Friedemann Behr, Pfarrer und Sohn von Friedrich Behr, liest man:
„Die größte Sorge aber, durch die ganze Nazizeit hindurch, galt dem Schutz der körperbehinderten Kinder und Jugendlichen, die sonst schutzlos, im Marienstift ihre Heimat gefunden hatten, und welche die Nazis mit einem Gesetz über Euthanasie vom November 1933 als „unwertes Leben“, das zugusten der Gesunden vernichtet werden sollte, einstuften. Diese tödliche Gefahr für die Kinder des Marienstiftes wurde sofort erkannt und Gegenwehr setzte ein. Friedrich Behr hielt am 25. Mai 1934 auf dem Kongreß aller deutschen evangelischen und katholischen Krüppelanstalten in Beuthen (Schlesien) einen vielbeachteten Vortrag zum Thema: „Die Verpflichtung zur Krüppelvorsorge aus evangelischem Ethos“ – eine Kampfansage an die Euthanasie. Dies nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch. Hier in Arnstadt beschlossen Prof. Frosch und Kirchenrat Behr, die betroffenen Kinder nicht zu verstecken, sondern im Gegenteil in aller Öffentlichkeit für ihr Lebensrecht zu werben. Dreimal wurde Prof. Astel aus Jena, der härteste Vertreter der Euthanasie, mit jeweils hundert „nazinahen“ Ärzten ins Marienstift eingeladen. Prof. Dr. Frosch zeigte anhand von Röntgenaufnahmen die schweren und schwersten Behinderungen der Kinder vor – und dann die nach geglückter Operation entstandenen Korrekturen, die es ihnen ermöglichten, geh- und lernfähig zu werden. Kirchenrat Behr stellte sodann den Entwicklungsgang der „Krüppel“ vor, die nach Besuch der anstaltseigenen Schule, den Lehrwerkstätten und der Büroausbildung als vollwertige Arbeitskräfte einsatzfähig wurden, um ihren Lebensunterhalt selbst zu erwerben. Diese sichtbaren Argumente gegen die Euthanasie hinterließen jedesmal, besonders bei den Arztkollegen, einen tiefen Eindruck.“
Es ist ein unglaublich großer und mutiger Verdienst der damaligen Leitung und der Mitarbeiter des Marienstifts Arnstadt, daß in diesen Zeiten nicht eines der behinderten Kinder sein Leben lassen mußte. Es ist ebenso fast unglaublich, daß es diesen mutigen Männern und Frauen gelang, eine jüdische Ärztin vor dem Zugriff der Nazis zu schützen, schreibt Friedemann Behr an anderer Stelle seiner Erinnerungen.
Ja, es gab Licht und mutige Menschen, die der Gefahr ins Auge sahen und dennoch nicht wegschauten. Das ist die Hoffnung. Nicht wegschauen. Dies gilt auch heute.
Zum Abschluß legten Alexander Dill und Landrätin Petra Enders als erste einen Kranz nieder. Es folgten weitere Ehrungen. Von der AfD Ilmkreis-Gotha legten der Bundestagsabgeordnete Marcus Bühl gemeinsam mit seiner Büroleiterin Kerstin Schmalz ein rot-weißes Blumengebinde nieder. „Nein, wir schauen nicht weg, wir verneigen uns vor den Opfern der Nationalsozialisten. Gerade diese menschlichen Tragödien und Erfahrungen von Mord und Terror zeigen mir, wie wichtig es auch heute ist, darauf einzuwirken, daß die Politik verpflichtet ist, den inneren wie äußeren Frieden unter allen Umständen zu wahren, damit so etwas Grauenhaftes nie wieder in Deutschland passieren kann. Deshalb ist es für mich und die AfD so wichtig, daß jedweder Versuch, die demokratischen Grundwerte in Frage zu stellen – sei es aus mittelalterlich anmutenden Glaubensbekenntnissen oder extremen faschistoiden oder kommunistischen Ideologien – mit allen rechtsstaatlichen Mitteln entgegenzutreten. Genauso wichtig aber ist es auch, Geschichte zu hinterfragen und dabei Anstand und Ehrlichkeit, Mitmenschlichkeit und Mitgefühl walten zu lassen.“, so der Bundestagsabgeordnete am Rande der Gedenkveranstaltung.
Text und Bild: Hans-Joachim König