Das Motto: „Flucht und Vertreibung“ ging am Anliegen vorbei

ARNSTADT. Mit einem Gottesdienst in der Bachkirche und einer Kranzniederlegung auf dem Neuen Friedhof an der Gedenkstele für die Opfer des Arnstädter Bombenangriffs vom 7. Februar 1945 hatten Bürgermeister Alexander Dill und der Pfarrer der Liebfrauenkirche, Dr. Mathias Rüß, eingeladen. Doch leider nahmen nur einzelne Bürger diese Einladung an. So erschienen vor allem Vertreter der Parteien zu der kleinen Gedenkstunde, die vier Mitglieder der Dörrberger Musikanten einleiteten. In seiner Ansprache zum „Totensonntag“ zog Arnstadts Stadtoberhaupt Dill eine Linie von den normal Verstorbenen über die Opfer von Terror und Krieg bis hin zu Flüchtlingskindern. An die Tradition des „Volkstrauertages“ und an die Millionen der deutschen Opfer nicht erinnernd, sprach Dill von dem Ziel, Haß und Wut in der Gesellschaft nicht zuzulassen. Damit folgte er in gewissen Teilen dem Motto „Flucht und Vertreibung“. Doch selbst dieses Motto geht an der Tradition des Volkstrauertages vorbei. Nachdem der Volkstrauertag 1919 vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge als Gedenktag für die gefallenen deutschen Soldaten des Ersten Weltkrieges vorgeschlagen wurde, fand 1922 die erste Gedenkstunde im Reichstag statt. 1926 wurde entschieden, den Volkstrauertag regelmäßig am Sonntag Reminiscere (fünfter Sonntag vor Ostern) zu begehen. Über Ziel und Würde dieses Gedenktages schrieb am 27. Februar 1926 die „Cellesche Zeitung“ folgendes:

„Volkstrauertag! Der erste deutsche Volkstrauertag soll in erster Linie dem Ehrengedenken unserer im Weltkriege gefallenen Väter, Brüder und Söhne gewidmet sein. Es ist nur zu wünschen, daß sich diese ernste Feier recht tief und fest und feierlich, auch ohne viele Reden und Gesänge, aus dem ureigenen deutschen und menschlichen Empfinden heraus geltend macht in den Herzen des ganzen Volkes.“

1952 wurde in der damaligen Bundesrepublik entschieden, die zentrale Gedenkstunde zum Volkstrauertag im Deutschen Bundestag durchzuführen. Angelehnt an die Form der zentralen Gedenkstunde werden seither in allen Bundesländern und den meisten Städten und Gemeinden ebenfalls Gedenkstunden mit Kranzniederlegungen durchgeführt. Öffentliche Veranstaltungen sind am Volkstrauertag stark eingeschränkt. Gedacht werden soll der „Toten zweier Kriege an den Fronten und in der Heimat“, aber auch an die Opfer der Gewaltherrschaft aller Nationen. Die offiziellen Reden bilden gewöhnlich auch den Anlaß für geschichtspolitische Stellungnahmen von Politikern und namhaften Vertretern der Öffentlichkeit.

Angemerkt: Dringender denn je ist es aber an der Zeit, an die Verantwortung für diese schwere Schuld an den Völkern Europas und in der Welt zu erinnern. Es reicht nicht mehr, „nur“ der Millionen Toten in den großen Weltkriegen und der Millionen Toten auf der Welt danach zu gedenken. Deutschland und Rußland haben einen großen Blutzoll gezahlt. Alle, die in Frieden leben wollen, Kinder, Haus und Herd, Heimat und Tradition bewahren wollen, müssen heute eine Entscheidung treffen. Die Entscheidung zwischen einem Vogel-Strauß-Verhalten oder dem aufrechten Gang und den damit verbundenen Mut, jene Wahrheiten anzusprechen, die dazu führen, daß weltweit unzählige Kriege immer neues Unheil, Tod und Zerstörung in einem vor Jahren nicht geglaubten Umfang in Billionenhöhe angerichtet haben und anrichten. Der Mut des offenes und freien Wortes, die Zerstörer zu benennen und dies immer wieder zu zu tun, ist die einzige Hoffnung, Freiheit und Demokratie – und damit Frieden – zu bewahren. Im Inneren wie im Äußeren. Dazu gehört auch der Mut von Worten und Taten, diese heiligen Werte zu verteidigen gegen all jene, die aus religiösen, ideologischen und materiellen Gründen diese Werte gern in ihrem Sinn mißbrauchen, um ihre wahren Absichten zu vertuschen. Diese oder ähnliche Worte der Mahnung wären dem Sinn des „Volkstrauertages“ wenigstens etwas näher gekommen.

Hans-Joachim König