Wie am Vortag beschlossen, begann der zweite Plenumstag mit dem Tagesordnungspunkt 7: „Vorschaltgesetz zur Durchführung der Gebietsreform in Thüringen, Gesetzentwurf der Landesregierung in seiner ersten Beratung.
Mike Mohring (CDU) bezeichnete die geplante Gebietsreform als Generalangriff auf den ländlichen Raum und bemängelte die fehlenden Aussagen zur notwendigen Strukturreform. Er betonte, dass der Ministerpräsident immer nicht da sei, wenn es um die Gebietsreform geht. Insbesondere die SPD solle ihre eigene Basis fragen, was sie von der Gebietsreform halte (z.B. den Oberbürgermeister von Weimar, der gerade während der Debatte eine Demonstration vor dem Landtag für den Erhalt der Kreisfreiheit abhielt). Einsparungen würden sich, wenn überhaupt, nur bei den Kommunen ergeben. Außerdem würde die richtige, wissenschaftlich anerkannte Reihenfolge sein: Aufgabenkritik, Verwaltungsreform, Gebietsreform.
Uwe Höhn (SPD) sagte, dass er die Demonstration des Weimarer Oberbürgermeisters ,,duldsam ertragen werde“. Schon seit 2006 gibt es eine Diskussion um die Gebietsreform (Enquetekommission), die von existentieller Bedeutung für Thüringen sei.
Frank Kuschel (Linke) betonte, dass es eine öffentliche Debatte von Anfang an gegeben hätte, allerdings wurde diese von der Landesregierung durch die Durchführung von nur fünf Regionalkonferenzen stark eingeschränkt. Die Kommunen sähen sich einem Fachkräfteproblem gegenüber und seien finanziell nicht nachhaltig aufgestellt. Die Einsparpotentiale der Gebietsreform ließen sich nur darstellen, wenn man die voraussichtliche Kostenentwicklung bei Beibehaltung der alten Struktur der prognostizierten Kostenentwicklung bei einer neuen gegenüberstellt.
Jörg Henke ging in seiner Rede insbesondere auf drei große Kritikpunkte ein: den behaupteten Zusammenhang zwischen Größe (Fläche und Einwohnerzahl von kommunalen Gebietskörperschaften) und der Effektivität der Leistungserbringung, die aufgestellte These, Verwaltungsgemeinschaften würden weder effektiv noch effizient sein und gehörten deshalb abgeschafft und die Kosten- und Einsparpotentiale der Gebietsreform. In allen drei Fällen seien es bloß Behauptungen: So ist der kleinste Landkreis, Sonneberg, auch einer der wirtschaftlich erfolgreichsten. Die Verwaltungsgemeinschaften sind ein Thüringer Erfolgsmodell: es gibt 69 Verwaltungsgemeinschaften (VGn) und nur 13 der hochgelobten Landgemeinden. Das Einsparpotential einer Gebietsreform ist nirgendwo bewiesen. Die AfD-Fraktion schlägt statt der Gebietsreform eine Aufgabenüberprüfung vor (was muss wo wie von wem erledigt werden), der eine Verwaltungsreform folgt. Freiwillige Gemeindezusammenschlüsse sind zu fördern und die VGn weiter zu stärken.
Einen Sinneswandel hat es möglicherweise bei Dirk Adams (Grüne) gegeben. Nachdem er sich bisher für die Abschaffung der VGn eingesetzt hat, unterstützte er jetzt die Zulässigkeit von besonders großen VGn. (dies ist etwas Neues, vorher hat er sich für die Abschaffung der VGn eingesetzt). Mit dem Auslaufen des Solidarpaktes, einer neuen EU-Förderperiode mit verminderten Subventionen für Thüringen und der Reform des Länderfinanzausgleichs seien die Bedingungen für die Gebietsreform von außen vorgegeben. Die Landesregierung wolle nicht sparen, sondern die Leistungsfähigkeit erhalten.
Innenminister Holger Poppenhäger betonte nochmals die demographischen (starker Bevölkerungsrückgang bis 2035) und die finanziellen Rahmenbedingungen (siehe oben), die aus seiner Sicht die Notwendigkeit einer Gebietsreform nach sich ziehen würden. Insgesamt war es eine sehr engagiert und emotional geführte Debatte mit dem Ergebnis, dass der Gesetzentwurf einstimmig in die Ausschüsse Innen- und Kommunalpolitik, Finanzen und Verbraucherschutz verwiesen wurde.
Als Nächstes folgte der Gesetzentwurf der Landesregierung: Erstes Gesetz zur Änderung des Thüringer Gemeindeinfrastrukturfördergesetzes. Dazu Thomas Rudy zum Ausbau und der Instandhaltung der Verkehrswege und deren Finanzierung:
Das „Thüringer Gesetz zu dem Neunzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag“ ist ein Gesetzentwurf der Landesregierung. Der Ende 2015 von allen Länderregierungen unterzeichnete 19. Rundfunkänderungsstaatsvertrag bringt verschiedene Novellen im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die geplante Einführung eines Internet-Jugendkanals von ARD und ZDF, der die Zielgruppe der 14 bis 29-Jährigen für die Öffentlich-Rechtlichen (zurück-)gewinnen will, wies Stephan Brandner in der Debatte zurück. Das Vorhaben sei zum einen kostspielig und drohe, ein treibender Faktor für die zukünftige Erhöhung des Zwangsbeitrages zu werden. Zum anderen aber gehe die Konzeption des Jugendkanals am Mediennutzungsverhalten der jungen Menschen vorbei. Es stehe zu befürchten, dass der Online-Jugendkanal am Ende nur als kümmerliches Schattengewächs dank der Gebührenfinanzierung überleben werde.
In der Debatte war es allein die AfD-Fraktion, die den weiteren Ausbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems prinzipiell skeptisch diskutierte, während alle anderen Landtagsfraktionen die Ausweitung des Staatsrundfunks ins Internet begrüßen.
Danach folgte die Fragestunde, die sich u.a. mit den Aufgaben der Thüringer Gemeinden im Brandschutz (CDU), der Erfassung der Dienstunfähigkeit bei der Thüringer Polizei (AfD), der Neubewertung der islamistischen Gefährdungslage auch in Thüringen (AfD), der Kurzarbeit bei K+S (Linke), der Wiedereinführung von Diplomabschlüssen an der TU Ilmenau (Linke), möglichen Geschäften der Landesbank Hessen-Thüringen auf Offshore-Finanzplätzen (Linke) und einigen weiteren Fragen beschäftigte.
Die Landesregierung brachte einen weiteren Gesetzentwurf ins Plenum ein, und zwar das Gesetz zur Änderung des Thüringer Studentenwerksgesetzes und anderer Gesetze.
Die Beratung zur Änderung des Studentenwerksgesetzes versprach aus mehreren Gründen interessant zu werden: zum einen handelt es sich um ein hochideologisches Thema, welches die Genderideologie der rot-rot-grünen Landesregierung in den schönsten Regenbogenfarben wiedergibt. Denn geplant ist die Umbenennung des Studentenwerkes in Studierendenwerk, um nicht nur Studenten der zwei, sondern aller denkbaren Geschlechter anzusprechen. Zum anderen wird zukünftig die Finanzierung der Studentenwerke an die Erreichung von Ergebnissen aus Ziel- und Leistungsvereinbarungen gekoppelt und somit abhängig von den Wünschen der rot-rot-grünen Ideologen.
Spätestens als der erste Redner, Andreas Bühl von der CDU, über seine Erfahrungen in der Mensa eines Studentenwerkes berichtete, war allen klar, dass es die erwartete interessante Diskussion nicht geben wird. Besonders die Abgeordnete Madeleine Henfling (Grüne) fiel mit ihren sprachtheoretischen Äußerungen auf: so erklärte sie, Sprache sei da, um zu unterscheiden oder auch „Sprache schafft Realität“.
Nachdem alle Redner der Regierungskoalition über die absolute Notwendigkeit der Umbenennung referierten, konnte endlich Wiebke Muhsal über die Unsinnigkeit dieses Gesetzentwurfes aufklären. Dabei erklärte sie insbesondere, dass diese „Vergewaltigung von Sprache“ auch vom Thüringer Studentenwerk selbst skeptisch gesehen wird, womit es verdeutliche, dass die „sprachliche Korrektheit“ zweifelhaft sei. So zeigt das Wort „Studierende“ an, dass Personen in einem Moment studieren. Abends sind Studenten aber „Biertrinkende, Lernende oder Tanzende“. So machte Muhsal deutlich, dass die Landesregierung ihre Ideologie nicht nur gegen den Willen der Betroffenen, sondern auch gegen die deutsche Grammatik durchsetzen will. Die 100.000 Euro, die benötigt werden, um die Umbenennung durchzuführen, könnten an anderer Stelle deutlich sinnvoller genutzt werden und beispielsweise in die durch das Studentenwerk angebotene Kinderbetreuung investiert werden. Abschließend machte Muhsal darauf aufmerksam, dass sie darum bittet, die alten Schilder des Studentenwerkes vorübergehend einzulagern, denn nach den nächsten Wahlen wird die bürgerliche Regierung nicht im ganzen Land grammatikalisch falsche Schilder stehen lassen.
Der Gesetzentwurf der Landesregierung zum Gesetz zur Änderung des Thüringer Anerkennungsgesetzes und anderer Gesetze regelt die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Dazu gab es aus Sicht der anderen Fraktionen nicht viel zu sagen. Wahrscheinlich hatten diese keine Lust, den umfangreichen Gesetzentwurf aufmerksam durchzulesen. Nur so ist zu erklären, dass sich außer der AfD-Fraktion niemand umfassend zu dem Gesetzentwurf äußern wollte. Corinna Herold legte ihren Schwerpunkt auf drei Bereiche. Zum einen erläuterte sie den auf Thüringen zukommenden Fachkräftebedarf im Bereich der Pflege und forderte die Landesregierung dazu auf, Geld in die Hand zu nehmen und die Ausbildung der Berufe in der Pflege auch finanziell zu unterstützen, anstatt nur das Qualifikationsniveau, was zur Aufnahme einer Ausbildung in diesem Bereich nötig ist, zu senken. Nur durch eine attraktive Ausbildung und spätere Tätigkeit ist es möglich, langfristig den Bedarf an qualifizierten Fachkräften zu decken. Daneben führte Frau Herold aus, dass die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse tatsächlich vor vielen Herausforderungen steht, und dies insbesondere vor der ideologisch motivierten Annahme interessant ist, dass jeder Asylsuchende eine Fachkraft ist, die in unserem Arbeitsmarkt erfolgreich sein wird. Natürlich ist es dann auch notwendig, die Berufsqualifikationen dieser so genannten Fachkräfte entsprechend unserer Anforderungsprofile anzuerkennen.
In einem weiteren Punkt äußerte sich Corinna Herold zur notwendigen Anerkennung der Abschlüsse der Hochschule Nordhausen im Fachbereich mit dem schönen Namen „Heilpädagogik – inclusive studies“. Hier plant die Landesregierung offensichtlich, das notwendige Personal auszubilden, um das geplante inklusive Schulgesetz durchzusetzen. Abschließend verdeutlichte Herold, dass es eine Reihe fragwürdiger Regelungen im Gesetzentwurf gibt, bei denen die AfD-Fraktion besonders aufmerksam sein wird, wenn der Gesetzentwurf im Ausschuss beraten wird.
Das Fünfte Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaats Thüringen war Gesetzentwurf der Fraktion der AfD. Dieser sieht vor, Deutsch als Landessprache in die Verfassung aufzunehmen. Entsprechende Initiativen auf Bundesebene werden schon lange zitiert, doch sind bisher alle Versuche, der deutschen Sprache Verfassungsrang zu verleihen, gescheitert. Wie Umfragen zeigen, findet diese Forderung regelmäßig überwältigende Mehrheiten in der Bevölkerung, weshalb die Thüringer AfD-Fraktion jetzt den Impuls aufgriff und eine entsprechende Verfassungsänderung im Landtag einbrachte. Die Reaktionen der Fraktionen von CDU bis Rot-Rot-Grün waren beschämend. Anstatt sich mit einem ernsten Thema sachlich auseinanderzusetzen, versuchte man den Antrag der AfD lächerlich zu machen. Auch die CDU tat sich dabei hervor. Dabei zeigte sie nicht nur den Unwillen, sich mit dem Thema nüchtern zu befassen, sondern auch Unkenntnis der Beschlusslage der Bundes-CDU. Die hat nämlich 2008 auf einem Bundesparteitag beschlossen, dass sich die Partei um die Aufnahme von Deutsch als Sprache der Bundesrepublik bemühen werde.
Die AfD-Fraktion ist überzeugt, dass der deutschen Sprache eine wichtige politische Integrationsfunktion zukommt, weil sie das primäre Mittel zur Verständigung der Deutschen ist und damit zugleich das Medium unserer kulturellen Selbstverständigung, der sprachlichen Persönlichkeitsbildung und der individuellen wie gemeinschaftlichen Identifikation. Einer zunehmenden Geringachtung gegenüber dem Deutschen, wie sie in der Verwendung von Anglizismen oder sogenanntem „Denglisch“ oder simplizistischen „Mischsprachen“ zum Ausdruck kommt, ist ein verfassungspolitisches Signal der Wertschätzung entgegenzustellen. Dafür werden wir uns weiterhin entschieden einsetzen.
Eine Überweisung des Gesetzentwurfes in die betreffenden Ausschüsse wurde mit den Stimmen aller anderen Fraktionen außer der AfD abgelehnt, was nach dieser unwürdigen Debatte nicht wirklich überraschend war.
Der nächste Tagesordnungspunkt war das Thüringer Gesetz zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes, ein Gesetzentwurf der Landesregierung in der ersten Beratung. Olaf Kießling entlarvte die Lücken des Gesetzentwurfes und die damit verbundenen Risiken für den Hochwasserschutz in Thüringen:
Abschließend in der Debatte forderte Steffen Harzer (Linke) ausdrücklich, nicht mehr von Olaf Kießling zitiert zu werden, sondern nur von Demokraten.
Im Antrag der AfD-Fraktion zum Thema „Wirksame Maßnahmen gegen die Asylkrise ergreifen“ betonte Stefan Möller die Notwendigkeit von weitergehenden Maßnahmen, wie einer Obergrenze und der Grenzsicherung sowie der Einschränkung des Familiennachzugs. Diese Maßnahmen seien nach wie vor notwendig, da erstens unklar ist, bis wann die Türkei noch das EU-Türkei-Abkommen einhalten wird und zweitens, die Migranten bei einem (schon vor dem Abkommen bestehenden) Schließen der Balkanroute eben wieder auf die Mittelmeer-Route ausweichen würden – was gerade im Frühjahr und Sommer für erhöhte Asylzugangszahlen sorgen kann.
Christian Herrgott (CDU) äußerte sich populistisch und vereinfachend und verwarf den AfD-Antrag, da die Maßnahmen aus dem dritten Asylpaket diesen überflüssig machen würden. Dies stimmt so nicht, da zum Beispiel die Gewährung einer Niederlassungserlaubnis für anerkannte Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention jetzt zwar an die Sicherung der Lebenshaltungskosten geknüpft werden soll, aber eben nicht gänzlich abgeschafft wird. Während Fachkräfte oftmals nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis bekommen, gibt es für anerkannte Flüchtlinge nach wie vor die Möglichkeit einer Niederlassungserlaubnis. Unbeachtet blieb dabei, dass der Antrag der AfD von RRG und der CDU bereits seit drei Plenarsitzungen verschoben wurde.
Astrid Rothe-Beinlich warf Stefan Möller ,,Herrenmenschentum“ (!) vor. Außerdem hält sie an der unrichtigen These fest, dass eine Obergrenze „ganz klar verfassungswidrig“ sei. Der Familiennachzug sei sehr stark reglementiert. Er sei der ,,Schlüssel zur Integration“, was beim Gedanken an die mafiösen Clanstrukturen der Kurden, Türken und Araber in westdeutschen Großstädten einfach nicht stimmt.
Stephan Brandner bezog sich auf eine Aussage des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, in der er auf die zu erwartende Anzahl neuer Asylbewerber in diesem Jahr von 40.000 für Thüringen und dementsprechend knapp 1,5 Mio. für das Bundesgebiet hinwies.
Staatssekretärin Dr. Silke Albin betonte, dass keine gesicherten Prognosen möglich sind, was die Asylbewerberzahlen angeht. Es gibt mehrere Unsicherheitsfaktoren: Hält die Türkei Prognosen ein? Was ist mit der Staatskrise in Mazedonien? Die AfD sorge für Abwehr und Ausgrenzung, anstatt ,,zukunftsgewandt“ die Asylkrise als Chance zu sehen. Es bestünden verfassungsrechtliche, EU-rechtliche sowie völkerrechtliche ,,Bedenken“ gegen eine Obergrenze. Eine Grenzsicherung würde für enorme ökonomische Kosten sorgen und würde an die DDR erinnern. Die Asylkrise sei auch ökonomisch als eine Chance zu sehen – als ein Konjunkturprogramm für Thüringen. Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Zuwanderung durch das Asyl-Recht ab 2018 oder 2025 positive wirtschaftliche Effekte zeitigen würde. RRG will die Migrationsberatung durch zusätzliche Mehrausgaben ,,verbessern“.
Lesen Sie morgen den Bericht vom Plenum am 22.04.2016.
Stefan Möller/ Birgit Noll