Die Alternative für Deutschland (AfD) ist nicht nur als gesellschaftliches Phänomen, parteipolitischer Hoffnungsschimmer oder weltanschauliche Kantenschere interessant – auch auf der persönlichen Ebene ist sie für Überraschungen gut. In unserem Fall sind es Leute, die wir im Verlauf unserer langjährigen Verlagsarbeit, im Wandervogel, beim Militär oder auf einer der mittlerweile zahllosen Veranstaltungen des Instituts für Staatspolitik (IfS) kennengelernt haben und von denen wir eines nicht erwartet hätten: parteipolitisches Engagement. Mit zweien von ihnen – Björn Höcke (Thüringen, außen) und Stefan Scheil (Rheinland-Pfalz, innen) haben wir ein Doppelinterview geführt, dessen 1. Teil wir heute veröffentlichen.
SEZESSION: Björn, wir kennen uns nicht erst seit gestern, will sagen: nicht erst, seit Du nun die AfD in Thüringen als Fraktionsführer im Landtag und als Vorsitzender des Landesverbandes führst und dadurch zu einer Person immensen öffentlichen Interesses geworden bist. Ich hätte diesen Schritt nie bei Dir vermutet. Wie kommts?
HÖCKE: Der Leidensdruck, der sich in Anbetracht einer grundsätzlich falsch angelegten Politik in diesem Land aufgebaut hat, wurde irgendwann unerträglich. Im eigenen Kind transzendiert man sich. Die Vaterschaft lehrt einen wie nichts anderes, den Kopf zu heben und die Augen auf den Horizont zu richten. Die Zukunft gerät in den Blick – die nach dem eignen Dasein. Eine interessengeleitete, also vernunftbasierte Politik hat die Aufgabe, die Zukunftsfähigkeit des Staates zu sichern und das zu unterlassen, was selbige gefährdet. Wird die von den Altparteien eingeschlagene Marschrichtung nicht deutlich korrigiert, stehen schon mittelfristig unser Volksvermögen, unsere staatliche Integrität und unser Weiterbestand als Träger einer Hochkultur auf dem Spiel.
SEZESSION: Du bist Gymnasiallehrer, läßt Deine Stelle natürlich jetzt ruhen. Warst Du auf ihr nicht im Herz jener Einrichtung, die für die Tradierung der Hochkultur und ihre permanente Renaissance steht?
HÖCKE: Ich habe meine Tätigkeit als Lehrer immer als Beruf erlebt, hatte also stets das Gefühl, meine Person wirkmächtig einbringen. Manchen pädagogischen Bezug konnte ich aufbauen und über ihn Selbst- und Weltaneignung einleiten. Ich mußte aber auch beobachten, wie die Gelingensbedingungen für den Bildungs- und Erziehungserfolg sich jedes Jahr verschlechterten. Die Dauerrevolution im deutschen Bildungswesen unterläuft seit Jahrzehnten das Hauptziel von Schule, nämlich den gemeinschaftlichen und leistungsorientierten sowie zu Lebenstüchtigkeit motivierenden Erwerb von Wissen und Können.
Kein Jahr vergeht ohne pädagogische Innovation im Bereich der inneren und äußeren Schulentwicklung, die die so notwendige pädagogische Kontinuität verunmöglicht, Lehrer und Schüler in ihrer Handlungssicherheit beeinträchtigt und zu einer Vernutzung von endlicher Arbeits- und Lebenszeit führt. Die in den letzten Jahren verstärkt zu beobachtende Nivellierung, Trivialisierung und Ökonomisierung der staatlichen Bildungs- und Erziehungsinstitutionen vom Kindergarten- bis zur Hochschule drängten mich immer öfter zum offenen Widerspruch. Die Wut im Bauch wuchs über eine Politik, die nicht in Generationen sondern Legislaturperioden denkt. Diese latente Wut nahm mir mehr und mehr die Unbeschwertheit im Umgang mit den Schüler. Es wurde Zeit, die Stimme zu erheben.
SEZESSION: Herr Dr. Scheil, ich kenne und schätze Sie als akribischen, nüchternen Wissenschaftler, aus Ihrer Feder sind in meinem Verlag und in dieser Zeitschrift Bücher und Beiträge vor allem zur Diplomatiegeschichte rund um die Weltkriege erschienen. Nun sind Sie mit einem hervorragenden Ergebnis für die AfD in den Kreistag gewählt worden und arbeiten sich in die Regionalpolitik ein. Wie paßt das zusammen?
SCHEIL: Nun, das sind zwei Bereiche, die zunächst recht wenig miteinander zu tun haben. Das eine ergibt sich aus der Verantwortung des Wissenschaftlers, wie ich sie sehe, nämlich objektiv zu arbeiten und dabei auch unbequeme und vielleicht sogar unerwünschte historische Tatsachen zu ergründen. Solche Fakten gibt es im Umfeld der Weltkriege in Hülle und Fülle. Vieles habe ich aufgedeckt und lasse gern noch weiteres folgen.
Der Einstieg in die Partei- und Regionalpolitik ergab sich wie für wohl die meisten anderen in der Partei aus dem intensiven Eindruck, daß politisch etwas geschehen muß, was aus dem existierenden Parteienspektrum nicht geleistet werden kann. Es ist nicht zuviel gesagt, daß sich hier ein Verantwortungsgefühl für das deutsche Volk meldet. Es organisiert sich auf verschiedenen Ebenen und kristallisiert an dem aktuellen Politikversagen in der Eurokrise, der Energiewirtschaft oder der Bevölkerungspolitik. Da das nicht dauerhaft Erfolg haben kann, wenn eine Partei nicht auch überall vor Ort präsent ist und sich in dem Dickicht aus Parlamenten, Kuratorien, Stiftungen, Verbänden, Beiräten, Kommissionen usw. auskennt, das wie Blei auf dem Land liegt, habe ich mich entschlossen, hier vor Ort einzugreifen.
Beiden Bereichen ist allerdings eins gemeinsam: Es liegt ein Versagen von etablierten Strukturen vor. Weder war die akademische Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik in der Lage, ein zutreffendes Bild über die Weltkriegsära zu entwickeln, noch haben die etablierten Parteien das Volkswohl als zentrales Ziel im Auge behalten. Stattdessen hat man uns in eine Situation hineinmanövriert, in der das Licht auszugehen droht – und nicht nur das elektrische.
SEZESSION: Wie sähe denn eine Politik aus, in der das Volkswohl das zentrale Ziel ist?
HÖCKE: Vielleicht sollte man sich zunächst fragen, wie ein Politiker beschaffen sein müßte, der dem Volkswohl dienen kann.
SEZESSION: Wir können gerne zunächst danach fragen, und wenn mich nicht alles täuscht, müßten Sie beide nun sich selbst beschreiben …
HÖCKE: Ein Politiker, der dem Volkswohl diente, müßte zweifellos ein volksnaher Politiker sein. Für den Pädagogen August Hermann Franke war Erziehung „Liebe und Vorbild – und sonst nichts“. Ich greife das auf und sage: Volksnahe Politik fußt auf der Fähigkeit, Liebe zum vertretenen Volk zu empfinden und ihm als Vorbild dienen zu wollen.
SEZESSION: Lieben Sie das deutsche Volk?
SCHEIL: Ja, der Begriff “Liebe” kommt der Sache wohl wirklich am nächsten. In seinen vielen Schattierungen gilt das allerdings, wie Leidenschaft, Respekt, Sorge, Distanz, Stolz und anderes mehr. Daß es zum deutschen Sein keine einfache Liebesbeziehung gibt, müssen wir hier ja wohl nicht extra erörtern. Der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann hat auf die gleiche Frage die berühmte Antwort gegeben: “Nein, ich liebe meine Frau”. Ich persönlich glaube, daß diese Antwort bei ihm nicht ganz ehrlich war. Aber sie hat mit ihrer Absicht, die Liebe zu Volk und Land aus der Politik zu entsorgen, einen verhängnisvollen Tonfall vorgegeben, der überwunden werden muß.
HÖCKE: Ja, dieser Zungenschlag muß überwunden werden. Die Liebe zu unserem Volk gründet im Gefühl der Nähe, die im Gegenüber das Eigene erkennt. Sie wird gespeist durch das Wissen um das Herkommen aus der Zeit und den Gelingensbedingungen der Gegenwart. Ein gelebter politischer Bezug nährt nicht nur den Willen, das Volk zu vertreten, sondern auch den Wunsch, selbiges in seinen Anlagen zu entfalten. Im Wahlkampf habe ich stets ein neues, auf den preußischen Tugenden fußendes Dienstethos für Politiker eingefordert. Liebe zu empfinden und Vorbild sein zu wollen, ist den allermeisten Berufspolitikern weltenfern gerückt, sie besitzen als Teil einer technokratisch veranlagten Funktionselite keine Volksnähe mehr und sind deshalb nicht in der Lage, eine Politik zu machen, die am Volkswohl orientiert ist.
SEZESSION: Den idealen Typus eines am Volkswohl orientierten Politikers haben wir jetzt skizziert. Worauf hätte sich seine Politik zu richten?
HÖCKE: Eine am Volkswohl ausgerichtete Politik hat zuvorderst darauf zu achten, daß eine politische Entropie, die letztlich zu einem „politischen Wärmetod“ führt, vermieden wird. Das heißt, die Entwicklung muß notwendig offen gehalten werden, politische Endzustände sind nicht anzustreben. Daraus resultiert, daß eine am Volkswohl orientierte Politik dezidiert antiideologisch ausgerichtet sein muß. Das ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil durch die technischen Möglichkeiten und die wirtschaftlichen Interdependenzen ein entfalteter Globalisierungstotalitarismus erstmals als reale Option angesehen werden kann. Daher muß der Verteidigung der ethnokulturellen Diversität höchste Priorität eingeräumt werden. Sie scheint mir – nebenbei bemerkt – auch die Grundlage echter ökologischer Politik zu sein.
SCHEIL: Ich will dies ergänzen: Eine am Volkswohl orientierte Politik muß in meinen Augen zunächst einmal ganz pragmatisch bei der Herstellung verfassungsgemäßer Zustände ansetzen. Das heißt, es äußert erstens das deutsche Volk seinen politischen Willen künftig wie im Grundgesetz vorgesehen ”in Wahlen und Abstimmungen”, und dieser Wille wird dann zweitens von der Politik respektiert und umgesetzt. Die politische Praxis in Deutschland und der EU sieht seit Jahrzehnten anders aus. Dort wird in exklusiven Zirkeln und Netzwerken eine Politik formuliert, die dann Stück für Stück umgesetzt wird. Selbst der Parlamentsabgeordnete erfährt das teilweise nur noch aus der Zeitung. Das gilt eigentlich für alle Politikfelder. Diese Politik kommt jeweils nicht aus dem Volk, noch arbeitet sie für das Volk. Sie wird ihm aufgenötigt, mit all den Mitteln, die aufgrund von Regierungsmacht, Verbandslobbyismus und Medienherrschaft zur Verfügung stehen. Und sie wird selbst dann fortgesetzt, wenn Meinungsäußerungen, Wahlniederlagen oder sogar Volksabstimmungen eindeutig zeigen, daß es für diese Politik keine demokratische Mehrheit gibt.
HÖCKE: Volkswohlorientierte Politik bedeutet in diesem Sinne das Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht als Ausfluß der Volkssouveränität und als Pendant zur unantastbaren Menschenwürde auf der Individualebene. Das Selbstbestimmungsrecht wahrt die Dignität der Völker.
SEZESSION: Sie beschreiben hier einen politisch-administrativen Komplex, der den Wählerwillen, das Gemeinwohl und den eigentlichen Zukunfts- und Lebensentwurf unseres Volkes infrage stellt. Ist die AfD dafür angetreten, diesen Komplex aufzubrechen? Ist eine andere Politik möglich?
SEZESSION: Sie beschreiben hier einen politisch-administrativen Komplex, der den Wählerwillen, das Gemeinwohl und den eigentlichen Zukunfts- und Lebensentwurf unseres Volkes infrage stellt. Ist die AfD dafür angetreten, diesen Komplex aufzubrechen? Ist eine andere Politik möglich?
SCHEIL: Es wird gar nicht anders gehen, als diesen Komplex aufzubrechen. Dankenswerterweise hat die SPD-Generalsekretärin Fahimi gleich am Tag nach dem Erscheinen des ersten Teils dieses Interviews in der Frankfurter Allgemeinen einen Aufruf für “ein breites gesellschaftliches Bündnis, von der SPD und anderen politischen Parteien, über die Gewerkschaften, die Kirchen, Industrie- und Sozialverbände, Stiftungen und NGOs” gegen die AfD veröffentlicht. Das ist ja nichts anderes als die ausdrückliche Beschwörung der Einheit des eben beschriebenen Komplexes. Damit sind zugleich die Aufgaben und die Fronten noch einmal klar benannt.
Eine andere Politik ist möglich, sie wird aber seit Jahrzehnten blockiert. Es gilt nicht die demokratische Offenheit, sondern vielfach die schon vor vierzig Jahren von Helmut Schelsky angeklagte “Priesterherrschaft der Intellektuellen”, wobei unter “Intellektuellen” auch Schelsky schon die kleinen Zirkel verstand, die ganze Länder, Gesellschaften und Völker umbauen oder auch abbauen wollten. Das trifft sich dann mit großindustriellen und finanziellen Interessen, die “Grenzen” als störend empfinden und es gern sehen und fördern, wenn sie intellektuell abgebaut werden.
HÖCKE: Ich kann mich hier grundsätzlich der Bewertung von Herrn Dr. Scheil anschließen, möchte aber noch folgendes ergänzen: Der politisch-administrative Komplex existiert als ein autopoietisches und selbstreferentielles System im Sinne Niklas Luhmanns. Und ohne Zweifel gibt es auch international operierende kleine Zirkel als Subsysteme des politisch-administrativen Komplexes, die gemeinsam und gezielt die beschriebenen globalen Transformationsprozesse einleiten und moderieren
Im Gegensatz zu den Letztgenannten ist das “breite gesellschaftliche Bündnis”, dem Fahimi das Wort redet, kein weltanschaulich-monolithischer Block. Die gemeinsame Schnittmenge der “Bündnispartner” ist doch recht überschaubar. Zieht man die bigotte, zur Schau getragenen Hypermoral und den korrespondierenden Ritenkanon ab, bleibt nicht viel.
SEZESSION: Du meinst also, daß sich das Scheitern der organisierten, breit angelegten Diffamierungsmechanismen, das wir etwa im Fall Sarrazin verblüfft erlebten, nun im Falle der AfD wiederholen könnte?
HÖCKE: In der Tat. Ich habe in den letzten Wochen zahlreiche Gespräche mit sogenannten Repräsentanten des öffentlichen Lebens geführt. Viele sprachen im kleinsten Kreis sehr offen und entfalteten Lagebeurteilungen, die sich deutlich von der verordneten Realitätsverweigerung der wichtigsten Meinungsführer in diesem Land unterschieden. Es sind also in erster Linie die Statusinteressen, die den “hypermoralischen Block” zusammenhalten. Auch bei der teilnehmenden Intelligenzija sehe ich nicht nur Überzeugungstäter, sondern das schon von Benn kritisierte “hündische Kriechen vor den politischen Begriffen”. Ich halte das Fundament folglich nicht für sehr tragfähig. Die beharrliche Arbeit einer wissenden, politisch klug operierenden und willensstarken Opposition kann hier vieles bewirken. Zumindest in Teilen sehe ich dieses Potential bei der AfD.
SEZESSION: Aber die AfD ist eine Partei, und wir wissen aus der Geschichte, der Literatur – Max Weber – und eigener Anschauung, daß jede Partei binnen weniger Jahre zurechtgehobelt wird oder verschwindet …
HÖCKE: Was ist die Alternative in einer parteienbasierten parlamentarischen Demokratie? Die AfD hat ihren Ursprung in einer Bürgerbewegung, der Wahlalternative 2013. Nach den ernüchternden Erfahrungen einer Kooperation mit den FW in Niedersachsen zur Landtagswahl führte kein Weg mehr an einer Parteigründung vorbei. Der Einzug in die Landtage erlaubt uns den Aufbau professioneller Strukturen, die zunächst in den drei Ländern die Phase der permanenten Selbstausbeutung beendet. Das Medieninteresse verstetigt sich, es stehen Gelder zur Verfügung, die uns meinungsbildende Arbeit ermöglichen. Allerdings gebe ich unumwunden zu, daß das Zeitfenster der AfD sehr klein ist. Mit jedem der von der Partei lebt, mit jedem Mandatsträger, den die AfD stellt, wird der grundsätzliche Erneuerungswille weiter erlahmen. Ich setze viel Hoffnung auf den programmatischen Prozeß, der jetzt mit der Gründung der Landes- und Bundesfachausschüsse begonnen wird. In diesem Rahmen steht auch die Formulierung einer Vision „Thüringen und Deutschland 2030″ auf der politischen Agenda. Hier kommen wir an der Diskussion der großen Themen nicht vorbei – das macht Hoffnung.
SCHEIL: Ich schließe mich Herrn Höcke an. Eine andere Politik ist ohne weiteres möglich. Die Mehrheit der Bevölkerung hat andere Interessen und kann die Basis dafür bilden. Es gibt auch überhaupt keinen sachlichen Grund, warum eine deutsche Regierung die vielfachen Vertragsbrüche im europäischen Recht hinnehmen sollte und warum die schleichende Entmündigung der deutschen Parlamente hingenommen wird. Oder nur ein Beispiel auf praktischer Ebene: Es gibt auch keinen Grund, warum für alle erkennbar die Verkehrs-Infrastruktur vor sich hin rottet und die zuständigen Verbände den Investitionsstau inzwischen mit 130 Milliarden beziffern, während der Finanzminister mit der nachgerade dümmlichen Behauptung durch die Lande zieht, er lege einen ausgeglichenen Haushalt vor. Wer die Substanz derart verkommen läßt, der macht Schulden, auch wenn er es buchungstechnisch zu verstecken versucht. Hier und an vielen anderen Stellen können neue Prioritäten gesetzt werden, die den schleichenden Eindruck korrigieren, das Land sei am Verfallen.
Zu der Annahme, daß jede neue Partei bald verschwindet, gibt es gerade in Deutschland mit den Grünen ein schlagendes Gegenbeispiel. Was immer man davon halten mag, deren großer gesellschaftlicher und politischer Erfolg läßt sich kaum bestreiten. Allerdings haben sie dabei manche Themen abgelegt und sind heute weniger denn je eine Naturschutzpartei als eine Lobby bestimmter Industrien und “bunter” Organisationen. Sicher wird sich die AfD ebenfalls wandeln, wobei in letzter Zeit eher das patriotische Element stärker wurde. Aber die Substanz wird bestehen bleiben.
SEZESSION: Herr Dr. Scheil, es wird Sie nicht überraschen, daß ich den Erhalt der Infrastruktur vor dem Hintergrund der demographischen Katastrophe und der rasant voranschreitenden Überfremdung für einen Nebenkriegsschauplatz halte. Aber Sie sprachen vorhin einen sehr wichtigen Punkt an, indem Sie neben die Auflösung nationaler Grenzen den „intellektuellen Abbau von Grenzen” stellten. Mir scheint, dies sei die große, meistenteils nicht wahrgenommene, jedoch äußerst wirkmächtige Gefahr: die Liberalisierung aller Lebensbereiche bei gleichzeitiger Selbstaufgabe aller Eigenarten, Besonderheiten, Hierarchien, Ordnungsgefüge.
SCHEIL: Man sollte den Einfluß nicht unterschätzen, den die stete Erfahrung des Verfalls der Infrastruktur auf das Bewußtsein der Bevölkerung hat und damit auch auf die Beantwortung der an sich kuriosen, aber selbst hier im vergleichsweise reichen Südwesten oft gehörten Frage, ob man es “heute noch wagen” könne, in Deutschland Kinder in die Welt zu setzen. Insofern ist das meines Erachtens ein wichtiger Teil des Problems, das aber, da haben Sie Recht, durch die Aufgabe tragfähiger Ordnungen verschärft wird.
Es gab und gibt jedoch auch keinen Anlaß zur Selbstaufgabe der deutschen Kultur, indem man jede denkbare kulturelle Ausdrucksform innerhalb der Bundesrepublik für gleichrangig erklärt, wie es die mulikulturelle Ideologie durchsetzen will. Das wird ja teilweise noch von offenem Haß und Verachtung für Deutschland und die Deutschen übertroffen. Es hat sich in der SPD niemand aufgeregt, als das Parteimitglied Ute Sacksofsky, Inhaber einer Juraprofessur in Frankfurt, die Ansicht zum besten gegeben hat, daß es “um die Weitergabe deutschen Erbgutes nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nicht mehr gehen kann”. Im Gegenteil wurde die Frau kurze Zeit später ein prominentes Mitglied im Wahlkampfteam der SPD in Hessen, obwohl die Wortwahl in dieser biologistischen Fortschreibung – obendrein nichtexistenter – historischer Kollektivschuld auf nachgeborene Generationen schlechthin ein extrem rassistisches Weltbild zum Ausdruck bringt. Frau Sacksofsky gehört mit diesem Anliegen noch zum oben genannten “Komplex”. Es ist meiner Ansicht nach kein inhaltliches Problem, die moralische und intellektuelle Verkommenheit dieser Leute vorzuführen. Man muß lediglich Öffentlichkeit erzwingen. Hierfür kann Parteipolitik einen großen Schub bedeuten.
HÖCKE: Institutionen wie SEZESSION oder IfS waren federführend daran beteiligt, die von Herrn Dr. Scheil angesprochene “moralische und intellektuelle Verkommenheit” führender Protagonisten des politisch-administrativen Komplexes aufzudecken. Die Gefahr ist erkannt, jetzt muß sie gebannt werden.
Mein Mandat setzt mich frei zur Politik. Es soll eine konservative Politik sein. Als Konservativer setze ich Identität gegen Globalismus, Ordnung gegen Auflösung und Differenzierung gegen Gleichschaltung. Diese Grundprinzipien geben mir Orientierung für die politische Bewertung der gesamten Lebenswirklichkeit. Als Politiker muß ich jetzt daran gehen „Beträge von hohem Wert in Kleingeld unter die Leute zu bringen“ (Bismarck). Das gelingt nur, wenn man als Politiker bereit ist, gekonnt zu vereinfachen und Botschaften ins Land zu senden, die die Menschen auch gefühlsmäßig erreichen.
SEZESSION: Was bleibt dabei – entschuldige – von deiner Intellektualität übrig? Ein Politiker muß hundertmal dieselbe Wahlkampfrede halten und die Differenzierung der Positionierung unterwerfen.
HÖCKE: Für AfD-Politiker ist es vielleicht besonders schwer, das zu akzeptieren, weil unsere Partei mit dem Anspruch angetreten ist, Theorie, Empirie und gesunden Menschenverstand gegen die Ideologie in die Politik einzuspeisen und dem Hype mit bürgerlicher Besonnenheit zu begegnen. Aber vielleicht ist der Widerspruch gar kein wirklicher. Vielleicht ist die Zeit für einen neuen Politikertypus gekommen. Für einen, der dadurch das so unerläßliche Charisma entfaltet, daß er auf der Basis der Vernunft und des Verstandes seiner Liebe zum Eigenen und zum Immergültigen gefühlsstark Ausdruck verleihen kann. Das Auftauchen einer solchen Persönlichkeit könnte viel bewegen.
SEZESSION: Das bedeutet: Diese Person ist noch nicht aufgetaucht, und wenn sie auftauchte, dürfte sie keinesfalls dem von Olaf Henkel verkörperten liberalen Flügel der Partei angehören, oder? Wie weltanschaulich ernst ist die Auseinandersetzung innerhalb der Partei?
HÖCKE: Ich bin der festen Überzeugung, daß es diese Person schon gibt. Als noch nicht gesetzte Partei katalysiert die AfD permanent nicht nur Inhalte sondern auch Personen und deren Entwicklung zu politischen Persönlichkeiten. Was man wohl ausschließen kann, ist, daß sie aus dem Milieu der Technokraten oder Besitzstandswahrer kommt.
SCHEIL: Warum nicht? Wenn ich mir unsere Parteiführung ansehe, dann sind wir personell bereits durchaus gut besetzt. Besonders Bernd Lucke hat in meinen Augen genau die Portion und die Art Charisma, die derzeit in Deutschland gebraucht wird. Viele Debatten und Veranstaltungen haben gezeigt, daß er sowohl nach innen führen, als sich auch nach außen gegen den politischen Gegner durchsetzen kann. Umrahmt wird er von einer ganzen Reihe eloquenter Personen, die alle auf ihre Art Individualisten sind und doch genügend Gemeinsamkeiten aufweisen. Dazu haben sich bereits und werden sich weitere Persönlichkeiten gesellen, die aus den Ländern heraus mit hervorragenden Wahlergebnissen ausgestattet sind.
Insofern würde ich auch die Bedeutung von weltanschaulichen Differenzen nicht überschätzen. Es herrscht breiter innerparteilicher Konsens darüber, daß eine weitere, bloß wirtschaftsliberale Partei nicht das ist, was in Deutschland gebraucht wird.
HÖCKE:. Ich kann mir insgesamt nur schwer vorstellen, daß es für diese Gegenwart eine liberale Vision geben kann.
SCHEIL: Mag sein. Dennoch ist die innerparteiliche Debatte sowohl offen als auch kompromißbereit. Das ist eine immer wieder bestätigte persönliche Erfahrung. Vor dem Landesparteitag hier in Rheinland-Pfalz Anfang November wurde ein entsprechender weltanschaulicher Konflikt nach allen Regeln der Kunst geradezu herbeigeschrieben und beschworen. Nichts davon fand statt. Sachdifferenzen wurden durch ruhig vorgetragene Argumente und Beschlüsse erledigt. Die skandalhungrige Presse mußte sich schließlich darauf stürzen, daß laut Kassenbericht ein paar Quittungen aus 2013 im Wert von wenigen hundert Euro nicht eindeutig zuzuordnen waren. Das zeigt sowohl die Erbärmlichkeit der Berichterstattung als auch das Fehlen wirklich scharfer Gegensätze in der Partei. Ein breites Spektrum an Haltungen unter den Mitgliedern ist im Gegenteil ein Vorteil, wenn ein Grundkonsens vorliegt. Die AfD ist deshalb jetzt eine „kleine Volkspartei”, so Lucke zurecht. Sie soll eine große werden, und sie hat alle Möglichkeiten dazu.
HÖCKE: So ist es. Gegenwärtig geht es auf dem Weg dorthin weniger um weltanschauliche Divergenzen als um die Beantwortung der Frage, wie grundsätzlich man sich geben sollte. Also: Wie viel Andersartigkeit verträgt die Partei und was läuft der politischen Klugheit zuwider? Ich meine, daß die AfD selbstverständlich auch unkonventionelle Meinungen im parteiinternen Meinungsbildungsprozeß zulassen muß. Ich befürchte auch nicht, daß die Partei sich zu einer Spielwiese für Sektierer und Sonderlinge entwickelt. Ich habe nur wenige Auftritte solcher Menschen erlebt. Und bei aller Höflichkeit und bürgerlichen Zurückhaltung, die den meisten AfD-Mitgliedern zu eigen ist, hat es dann irgendwann eine deutliche Grenzsetzung durch das Publikum gegeben. Die Mehrheit der Mitglieder befindet sich in einem Suchprozeß. Sie verbittet sich den erhobenen Zeigefinger der Führung genauso wie die Agitation monomanisch fixierter Persönlichkeiten.
SEZESSION: Also ist alles auf Konsens und Ruhe angelegt und nicht auf die vielleicht sogar schockierende Formulierung einer echten Alternative, die ein Henkel gar nicht wollen kann?
HÖCKE: Die von Dir angesprochene weltanschauliche Auseinandersetzung wird es um das TTIP geben. Hier sehe ich die AfD vor einem wirklichen Lackmustest. Ich hoffe, daß die Diskussion sachlich geführt wird. Ich freue mich aber auch auf diese Auseinandersetzung, weil deren Tiefgang durch die Existenz der beiden Flügel garantiert ist. Letztlich geht es um die Frage, welche Art von Globalisierung wir wollen. Ich sage: Respice finem – Bedenke das Ende! Und jetzt sind wir wieder bei der am Volkswohl orientierten Politik…
Quellen: